David Roentgen (1741-1807) Möbelmanufaktur in Neuwied

Unter der Leitung von David avanciert die väterliche Werkstatt zum Hoflieferanten von exklusiven Luxusmöbeln für die europäischen Königshäuser.

Werdegang

Abraham Roentgen (1711-1793) ließ seine Söhne innerhalb der religiösen „Herrnhuter Brüdergemeine“ erziehen. Es wurde großer Wert gelegt auf eine gute Allgemeinbildung und vor allem erlernten die Internatszöglinge zusammen mit Kindern des Adels die französische Sprache. David besucht in seinem 6. Lebensjahr die Kinderanstalt Marienborn, dann Lindlein und bis 1753 das Herrnhuter Internat in Niesky in der Oberlausitz.

Diese fundierte Bildung war David Roentgen beim Umgang mit dem adligen Kundenkreis sehr hilfreich. David und seine Brüder gingen beim Vater in die Schreinerlehre. Ab 1768 bereitet sich David nach seiner Gesellenzeit darauf vor, die väterliche Werkstatt zu übernehmen. Zu dieser Zeit geriet die Werkstatt durch die Anschaffung von teuren, exotischen Hölzern und hohen Lohnkosten in eine wirtschaftliche Schieflage.

Hier beweist nun David sein überragendes kaufmännisches Geschick. Er veranstaltet eine sogenannte „Möbellotterie“ 1769 in Hamburg und trifft damit die Spielleidenschaft des Adels. Die Lotterie bewirbt er sehr offensiv mit Anzeigen und Inseraten. Mit dieser Aktion leert er das Möbellager der Werkstatt, erhöht die Liquidität und erwirbt sich einen großen Bekanntheitsgrad.

Werkstattübergabe vom Vater zum Sohn

1772 erfolgt die offizielle Übergabe der Werkstatt an David. Wobei sein Vater Abraham weiter in der Werkstatt tätig ist. In den Folgejahren wächst die Werkstatt kontinuierlich weiter. Bereits 1779 umfasst das Mitarbeiterverzeichnis 29 Angestellte sowie 6 außerhalb arbeitende Meister mit Gesellen der unterschiedlichen Professionen (Uhr- und Instrumentenmacher, Gießer, Vergolder, Schlosser, Drechsler und Gürtler = Metallverarbeiter). Aus der Herrnhuter Brüdergemeine bezieht man bei Bedarf noch zusätzliche Mitarbeiter, sodass zeitweise bis zu 50 Mitarbeiter an der Möbelproduktion beteiligt waren. Dieser enorme Wachstum war nur möglich, weil für die Manufaktur der Zunftzwang aufgehoben war.

Innovative Möbelherstellung

Zunehmend findet unter der Werkstattleitung von David Roentgen eine Spezialisierung der Mitarbeiter statt. Die Arbeiten werden aufgeteilt, nicht mehr 1 Einzelner arbeitet von Anfang bis Ende an 1 Möbel. Damit führt David die bereits vom Vater ausgeführte Modulfertigung, die dieser in seiner Londoner Zeit kennengelernt hatte, noch sehr viel weiter. Es werden gleiche Grundformen für unterschiedliche Möbeltypen wie z.B. Tische, Toilettentische oder Schreibmöbel gefertigt, die dann untereinander beliebig kombiniert werden können. Durch verschiedene Marketerien oder verschiedene Beschläge entstehen nie zwei absolut identische Möbel.

Es gibt nun Meister und Gesellen, die sich um die Anfertigung von Furnieren, die Mechanik, den Korpusbau, die Oberflächenbehandlung und die Marketerie kümmern. Diese Rationalisierung ermöglicht es, eine große Menge an Möbeln in relativ kurzer Zeit herzustellen.

David Roentgen beschreitet damit den Weg von der Tischlerwerkstatt zur vorindustriellen Möbelmanufaktur.

Möbelvertrieb und Kundengewinnung

David Roentgen ist nun der führende Kopf der Manufaktur, dem „Global Player“ von heute durchaus gleichzusetzen. Selbst ist er nicht mehr in der Werkstatt tätig.

Er reist durch ganz Europa bis Russland um seine Möbel bei Kaisern, Königen und bei Adelshäusern vorzustellen und Aufträge zu erhalten. Auch lässt er sich Empfehlungsschreiben von zufriedenen Kunden an potentielle Kunden ausstellen. David benutzt auch Werbegeschenke (Kleinmöbel und auch Wein) um Kunden zu gewinnen, oder für erfolgreiche Vermittlungsdienste.

Er gewährt lange Zahlungsziele, was ihm nur möglich ist, weil die Herrnhuter Brüdergemeine der Manufaktur mit Krediten zur Seite steht. Auch akzeptiert er unbare Zahlungsweise, was in der damaligen Geschäftspraxis sehr neu war.

Vom Gebrauchsmöbel zum Luxusgut

Durch die solide und bekannte Arbeit der väterlichen Werkstatt hat David einen guten Grundstock. Nun nimmt er auf die Gestaltung der Möbel maßgeblich Einfluss. Er trifft zur rechten Zeit genau den vorherrschenden Modegeschmack des Adels, der stark französisch geprägt ist.

David setzt auf exquisite Verarbeitung, Verwendung edelster Hölzer und überaus aufwendiger Marketerie.

Der Erfolg der Manufaktur ist auch durch deren Mitarbeiter begründet.

Die Vorlagen für die Marketerie liefern der kurtrierische Maler Januarius Zick (1730 München-1797 Ehrenbreitstein), der wiedische Hofmaler Johannes Juncker (1751-1817) sowie Jean Baptist Pillement und François Boucher. Die Marketeriekünstler bedienen sich auch des Vorlagenbuches „A new book of chinese Ornaments“ (1755 erschienen) von Jean-Baptist Pillement, einem gebürtigen Franzosen, der in England lebt.

Die Umsetzung dieser Vorlagen lässt eine neue Art von Marketerie entstehen, „Chinoise Bildszenen“. Hierbei werden verschiedenste Hölzer mosaikartig zu einem Bild zusammengesetzt, was einen zeichnerischen „peinture en bois“ Effekt erzielt, gleichzusetzen mit einem gemalten Bild.

Elie Gervais (1721 Genf - 1791 Neuwied) ein Petschierstecher und fürstlich wiedischer Münzmeister war für die Roentgenmanufaktur tätig. Für die Manufaktur waren auch Jean Raillard (1754-1786), Marc Voullaire (1749-1826) und Friedrich Ludwig Schmutz (1757-1811) als Petschierstecher tätig. Sogenannte Petschierstecher (ein Siegelschneider, der in Petschaften z.B. Monogramme schnitt) fertigten aus den Entwürfen für die Marketerien detailgenaue 1:1 Vorlagen, auf denen jedes noch so kleinteilige Hölzchen verzeichnet ist.

Marketerie Spezialisten in der Manufaktur waren Johann Kaergling, Johann Michael Rummer (der als Meister der Mosaiktechnik gilt), Heinrich Streuly und Johann Anton Reusch.

Feuervergoldete Beschläge und beste Oberflächenbehandlung zeichnen die Neuwieder Möbel aus. Den verspielten Geschmack des Adels trifft David vorzüglich mit der ausgefeilten Mechanik, die seine Möbel damals einzigartig machen.

Die Werkstatt fertigt nun absolute Prunk,- und Luxusmöbel, die sich nur mehr der Adel zu Repräsentationszwecken leisten kann.

Reisen zu europäischen Adelshöfen

In Frankreich kann er den in gesellschaftlichen Kreisen tonangebenden Baron Melchior von Grimm zur Bestellung einer kompletten Zimmereinrichtung gewinnen. Dieser Kontakt ermöglicht David den Zugang zu weiteren Adligen, insbesondere auch zum Königshaus.

Auch die Empfehlung des Botschafters für Österreich in Paris, Reichsgraf Florimond Mercy d Àrgenteau (1727-1794) öffnet David Roentgen den Weg an den französischen Hof.

Bei seiner ersten Parisreise 1774 tritt er in Verbindung mit François Rémond (1747-1812), von dem er viele Jahre lang vergoldete Bronzebeschläge und Figurengruppen bezog. Rémond bedient sich der Entwürfe des Bildhauers Louis-Simon Boizet.

Die selbstständigen Mitarbeiter David Roentgens, der Gürtlermeister und Gelbgießer Jacob Martin (1726 – 1807 Neuwied) und der in „Bronze Arbeit und Vergoldung“ tätige Meister Wollschlager haben die importierten Metallwaren vermutlich bei Bedarf vergoldet oder auch neue nach französischem Stil hergestellt, wohl um Einfuhrkosten zu sparen. Ein weiterer Zulieferer für Metallwaren war Johann Christian Hermann.

An den französischen Hof von König Ludwig XVI. (1754-1793) und Marie Antoinette von Österreich-Lothringen (1755-1793) liefert David Roentgen einen von insgesamt drei Kabinettschränken der Luxusklasse. Dieser Kabinettschrank war ausgestattet mit vielfältigen mechanischen Spielereien. So springen auf Knopfdruck geheime Fächer auf, auch besitzt dieser Schrank eine herabsenkbare Schreibplatte und zur Seite schwenkbare Schubladen. Eine eingebaute Spieluhr erzeugt Musik. Insgesamt ein „Wunderwerk der frühmodernen Technik“, das am Hofe große Bewunderung hervorruft. Dies bringt ihm den Titel „Ebénist mecanicien du Roi et de la Reine“ ein. Diese Verehrung seitens des Hofes stellt für David natürlich eine „beste Empfehlung“ dar.

Seine Möbel werden im „Salon des artists et savants“ in Paris ausgestellt, alle noch im Stil des Louis XVI. gefertigt.

An Marie Antoinette (die Tochter der Habsburgerin Maria Theresia von Österreich) liefert David die berühmte „Zimbalspielerin“. Ein mechanisches Meisterwerk.

Um sich mit seinen Möbeln in Frankreich zu etablieren, bemüht sich David um Aufnahme in die Pariser Tischler,- und Schreinerzunft „ménuisiers-ébénistes“, was ihm 1780 mit Erlangung des Meistertitels gelingt. Dies ist die Voraussetzung, dass er in Paris eine Filiale mit Möbelmagazin eröffnen kann, deren Leiter und Werkmeister Gottlieb Frost (1751 Berlin – 1814 Paris) wird.

Ab 1785 führt Frost dieser Pariser Dependance selbstständig.

Davids Reise nach Brüssel

Einen baugleichen Kabinettschrank, wie oben beschrieben, kann David 1775 nach Brüssel an den Herzog Karl von Lothringen verkaufen. Karl von Lothringen ist Statthalter der österreichischen Niederlande, zudem von Hochadel (Bruder von Kaiser Franz und Schwager der Kaiserin Maria Theresia). Nach Brüssel gehen auch die mit Johann Michael Rummer zusammen aufwendig gearbeiteten Marketerietafeln mit Szenen aus der römischen Geschichte. Diese werden heute im Museum für angewandte Kunst in Wien aufbewahrt. 1779 erlangt David für seine Verdienste in Brüssel den Titel „artiste ébéniste et machiniste du Prince“.

Reisen nach Russland

Durch ein Empfehlungsschreiben des bereits oben erwähnten Baron von Grimm an die Zarin Katharina, in dem dieser Davids Möbel in hohen Tönen lobt, sind auch am russischen Hof die Türen für David Roentgen bereits geöffnet.

Insgesamt reist David fünf mal nach Russland und stellt der Zarin die eigens für den russischen Geschmack konzipierten Möbel vor. Dies sind sehr wuchtige Prunkmöbel im klassizistischen Stil mit Mechanik, Spielwerken und Spieluhren. Eine logistische Meisterleistung stellt der Transport der Möbel über Land in der damaligen Zeit dar. David benutzte für seine Lieferungen an den russischen Zarenhof die Winterszeit. Mit Schlitten wurden die Möbel so schonend wie möglich auf den Weg gebracht. Auch die Methode, Möbelbeine abschraubbar zu gestalten, bewährte sich auf den langen unwegsamen Strecken.

Der russische Zarenhof und der russische Adel sind dann auch die zahlenmäßig größten Abnehmer der Manufaktur. In der Eremitage in St. Petersburg haben sich bis heute viele Möbel aus der Manufaktur David Roentgen erhalten.

Kontakte nach Berlin und zum deutschen Adel

Den dritten Kabinettschrank, der den beiden anderen in der Bauweise gleicht, stellt David Roentgen für den damaligen preußischen Kronprinz, dem späteren Kaiser Friedrich Wilhelm II. her.

Der Kaiser besucht 1792 die Neuwieder Werkstatt. Der für ihn gefertigte Kabinettschrank hat sich im Kunstgewerbemuseum der Staatlichen Museen in Berlin erhalten.

Beim deutschen Hochadel konnte David am Karlsruher Hof die Markgräfin Caroline Louise von Baden-Durlach, den Herzog Ernst Friedrich von Sachsen-Coburg-Saalfeld, in Weimar die Herzogin Anna Amalia und Herzog Karl August gewinnen.

Der Landgraf Friedrich II. von Hessen-Kassel sowie die fürstliche Familie von Neuwied zu Wied gehörten zu seinem Kundenkreis.

Für den 1. reinen klassizistischen Bau in Deutschland, entworfen vom Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorf, dem Schloss Wörnitz/Dessau von Fürst Leopold III. von Anhalt-Dessau, lieferte David Roentgen seine klassizistischen Möbel.

Werkstoffe und Möbelstile

Die Manufaktur Roentgen verarbeitet für die Prunkmöbel hochwertigste exotische Hölzer wie Mahagoni auf Eiche furniert, Palisander, Amarant, Königsholz, Rosenholz und Ebenholz.

Als Blindhölzer dienen Eiche und Weichhölzer wie Platane und Pappel. Schubladen sind oft aus Kirsche, Eiche oder Zeder gefertigt.

Markenzeichen der Roentgenmöbel sind eingelegte Messingstäbe und Hohlkehlen an den Möbeln, ebenfalls mit Messing ausgelegt.

Insbesondere ist die ausgefeilte Mechanik an Roentgenmöbeln auffallend. In Spieltischen und Verwandlungstischen, auch in Schreibmöbeln finden sich Gewichte, die Schreibkästen aus der Platte wie von Zauberhand herausfahren lassen. Es wird mit Sperrriegeln gearbeitet, die auf Knopfdruck Schubladen herausspringen lassen oder auch Geheimfächer öffnen. Spieluhren werden in die Möbel miteinbezogen, womit David absolut den Zeitgeist des verspielten Adels anspricht.

Die Zusammenarbeit mit der Neuwieder Uhrmacherfamilie Kinzing, Perfektionisten in der Herstellung von Pendel- und astronomischen Uhren, Glocken- und Flötenspielen lässt in der Manufaktur ausgefallene Uhren entstehen.

Wurden anfangs in der Tischlerwerkstatt des Vaters Rokokomöbel gefertigt, so passt David sich dem schnell wandelnden Geschmack des Adels an. Es entstehen Möbel im Neoklassizistischen Stil und reinen französischen Neoklassizismus.

Aufgabe der Manufaktur

Mehrere Faktoren trugen dazu bei, dass David Roentgen die Manufaktur 1794 letztendlich schließen musste. Einerseits brachte die Französische Revolution den dortigen Markt zum Einbruch. So war auch Gottlieb Frost, der Leiter der Pariser Dependance genötigt, diese zu schließen. Die Rheinüberquerung der französischen Armee bedrohte die Familie Roentgen ganz persönlich. Ebenfalls bedingt durch den allgemeinen Sinneswandel, brach auch die Nachfrage nach Roentgen Möbeln in Russland ab.

Der persönlichen Bedrohung wich David mit seiner Familie aus, indem er Unterschlupf in Herrnhuter Ansiedlungen suchte. Einige Jahre weilte er in Neudietendorf/Thüringen, in Kassel und Ebersdorf/bei Gera. Er lagerte dort auch den noch vorhandenen Möbelbestand ein und unternahm viele Reisen, diese auch zu verkaufen. Ausstehende Zahlungen versuchte er beim Adel einzuholen.

Weitervermittlung von Mitarbeitern der Manufaktur

David Roentgen ist es hoch anzurechnen, dass er nach der Schließung der Manufaktur Verantwortung für seine Mitarbeiter übernahm. So versuchte er, diese an andere Höfe weiterzuvermitteln und sicherte bei deren Übernahme zu, die Mitarbeiter auch noch mit den nötigen Materialien und Werkzeugen auszustatten. Die so vermittelten Kunstschreiner brachten ihr ganzes Können und Wissen an ihren neuen Wirkungsort mit. So ist es z.B. Heinrich Gambs gelungen, nach St. Petersburg gehen zu können. Auch David Hacker schuf sich eine neue Werkstatt in Berlin als „Königlicher Hoftischler“ unter Friedrich Wilhelm II.

Heute befinden sich Roentgen Möbel, Uhren und Spielautomaten in privaten Sammlungen und in Museen in aller Welt. Auf dem freien Markt werden noch heute Roentgen Möbel hoch bewertet und sind seltene Stücke. So kam 1961 bei Sotheby in London eine Kommode aus der Manufaktur Roentgen für 720.000 DM zur Versteigerung.

Literaturempfehlungen zu David Roentgen

  • Huth, Hans: „Möbel von David Roentgen“, Franz Schneekluth, Darmstadt, 1955
  • Fabian, Dietrich: „Abraham und David Roentgen von der Schreinerwerkstatt zur Kunstmöbelfabrik“, Schriften zur Kulturwissenschaft der internationalen Akademie für Kulturwissenschaften, Neustadt, Pfähler, 1992
  • Büttner, Andreas und Weber-Woelk, Ursula: „ David Roentgen Möbelkunst und Marketing im 18. Jh.", Regensburg, Schnell+Steiner, 2009
  • Striegel, Achim und Göres, Burkhardt Hsg.:“Präzision und Hingabe Möbelkunst von Abraham und David Roentgen", Bestandskatalog Staatl. Museen Preußischer Kulturbesitz, 2007